Argentinien – das Land der Rinder, Rhythmen und riesigen Entfernungen. Kaum ein Land bietet so viel Vielfalt auf so viele Kilometer verteilt. Meine Reise beginnt mitten im Hochsommer – mit Empanadas in der Hand, Mate im Blick und jeder Menge Abenteuerlust im Gepäck. Ich treffe alte Bekannte, entdecke neue Orte und treffe zufällig Studienfreunde. Ich staune über die Natur, schwitze in Bussen, verliere eine Füllung, finde neue Lieblingsorte und lerne: Argentinien ist ein Gefühl. Und dieses Gefühl ist schwer zu beschreiben – aber leicht zu erkennen, wenn man mittendrin ist.
Wenn Südamerika ruft - muss man antworten
Einleitung
Was tun, wenn Job, Wohnung und Alltagsroutine plötzlich nicht mehr im Weg stehen? Richtig – Rucksack packen und los! Südamerika klingt nach Abenteuer, nach Fernweh, nach Anden und Amazonas. Und genau deshalb ist das der Plan. Dass man dafür erstmal alles stehen und liegen lassen muss? Geschenkt. Lebensläufe lassen sich zurechtbiegen, Möbel unterstellen, Eltern beruhigen. Wer viel will, muss loslassen können. Und ehrlich gesagt: Es fühlt sich ziemlich gut an.
Natürlich gab’s auch innere Debatten. Ob das alles eine gute Idee ist. Ob man nicht doch lieber bleiben, sparen, sortieren, abwarten sollte. Aber am Ende war klar: Wenn nicht jetzt, wann dann? Denn so eine Reise wartet nicht ewig. Sie braucht Mut, Vorfreude – und ein Ticket mit offenem Rückflug.
Die Vorbereitung war ein halber Kraftakt und ein ganzer Overkill. Impfpass aktualisieren, Versicherungen kündigen, Rucksack eintragen, Spanischkenntnisse entstauben (Castellano trifft Andenakzent – das wird sportlich). Und dann noch: Kreditkarten checken, Packlisten vergleichen, Papiere sortieren, Kleinkram organisieren, den keiner sieht, den man aber plötzlich vermisst, wenn man irgendwo im Nirgendwo auf 3.800 Metern steht.
Die Reiseroute war dagegen schnell klar: Von Süd nach Nord, Sonne im Rücken, Abenteuer vor Augen. Einmal vom
argentinischen Sommer bis zu den kolumbianischen Stränden –mit jeder Menge Patagonien, Höhenmetern, Lamas und Meerschweinchen dazwischen. Ein Plan, der mit jeder Google-Suche konkreter wurde – und gleichzeitig immer absurder wirkte. Aber genau deshalb musste er umgesetzt werden.
Klar, ein bisschen mulmig wird einem schon. Fünf Monate, zigtausende Kilometer, neue Menschen, neue Wege, neue Währungen, neue Routinen. Man wird zurückblicken – auf wilde Landschaften, staubige Straßen, nächtelange Busfahrten, grandiose Sonnenuntergänge, kalte Duschen, empanadas mit fragwürdiger Füllung, großartige Begegnungen und Momente, die bleiben. Auf Tagebuchseiten, die irgendwann nur noch aus Stichpunkten bestehen. Und auf ein Leben, das sich unterwegs plötzlich ganz neu zusammensetzt.
Denn eins ist sicher: Wer aufbricht, verlässt nicht nur sein Zuhause – man verlässt auch ein Stück Alltag, Sicherheit und Komfortzone. Dafür bekommt man neue Perspektiven, vielleicht einen Sonnenbrand, definitiv aber Geschichten. Manche spektakulär, andere völlig banal – aber alle selbst erlebt.
Was genau passiert, steht in den Sternen. Aber fest steht: Ich bin dann mal unterwegs. Der Kontinent ruft – und ich hab richtig Lust, laut zurückzurufen.

Endlich angekommen
Buenos Aires
„Sag mal, woher kommst du denn? Du sprichst ja ein bisschen mit spanischem Akzent.“ Diese Frage höre ich nicht zum letzten Mal. Wer in Spanien Spanisch gelernt hat, bringt ein deutliches Castellano mit – und fällt in Argentinien sofort auf. Das dortige Spanisch klingt anders: weicher, gesungener, fast ein wenig italienisch. Die Aussprache ist melodiös, einige Begriffe sind ungewohnt, und bestimmte Verben – wie das spanische „coger“, das hier eine ganz andere Bedeutung hat – sollte man besser vermeiden, wenn man für Verwirrung oder Gelächter nicht bekannt sein möchte.
Trotzdem klappt die Verständigung wunderbar. Mein europäischer Akzent sorgt häufig für Gesprächsstoff und wird meist mit einem freundlichen Lächeln quittiert. Der Ton macht hier eben die Musik – und die klingt in Buenos Aires besonders.
Nach 13 Stunden Flug lande ich in der argentinischen Hauptstadt. Die Maschine hat zwar ein paar Jahre auf dem Buckel und zwischendurch rüttelt es kräftig – aber ich komme entspannt an. Buenos Aires begrüßt mich mit spätsommerlichen Temperaturen und trubeligem Großstadtfeeling. Noch schnell im Hostel einchecken, dann heißt es: Ankommen, umschalten, auf Südamerika-Modus gehen.
Die Stadt selbst ist faszinierend: über drei Millionen Einwohner, europäisches Flair mit südamerikanischer Seele, historische Gebäude neben moderner Architektur, dazu eine vibrierende Kunst- und Kulturszene. Buenos Aires ist laut, lebendig und voller Kontraste – zwischen Tango-Romantik, Straßenchaos und Alltagsmelancholie.
Nach dem ersten Toilettengang kommt auch die Erinnerung an eine südamerikanische Eigenheit zurück: Toilettenpapier gehört
nicht in die Schüssel, sondern in den Eimer daneben. Eine pragmatische, aber gewöhnungsbedürftige Maßnahme – mit dem Potential, unangenehm zu werden, wenn der Eimer nicht regelmäßig geleert wird. Welcome to South America!
In den ersten Tagen der Reise bin ich nicht allein unterwegs. Zu zweit lässt sich das Erkunden der Stadt besonders entspannt angehen – mit etwas Ortskenntnis im Gepäck und ohne den Druck, alles sehen zu müssen. Obelisk, Casa Rosada, Puerto Madero, San Telmo, La Boca und Palermo stehen auf dem Plan – ein bisschen Sightseeing muss sein. Besonders schön ist ein spontanes Tangokonzert auf einer Plaza, das ganz beiläufig zum kulturellen Höhepunkt des Tages wird. Der Tanz ist sinnlich und kraftvoll zugleich – ein echter Blickfang, selbst auf Asphalt.
Natürlich darf auch das Essen nicht zu kurz kommen. In Buenos Aires kommt traditionell Rindfleisch auf den Teller – und zwar in Dimensionen, die man sonst eher aus Westernfilmen kennt. Ein typisches Bife de Chorizo ist saftig, rosa, butterzart und etwa so dick wie ein Ziegelstein. Und obwohl ich sonst eher Team „Gemüsebeilage“ bin – hier zählt nur das Fleisch. Und das ist verdammt gut.
Zum Abschluss besuchen wir das Stadion der Boca Juniors, eines der berühmtesten Fußballvereine Südamerikas. Auch wenn gerade kein Spiel stattfindet, weht ein Hauch von Fußballgeschichte durch die Ränge – nicht zuletzt wegen eines gewissen Herrn Maradona, der hier einst kickte.
Nach zwei vollen Tagen, reichlich Fleisch, Tango und Großstadtflair geht es weiter. Adiós, Buenos Aires – wir steigen in den Bus Richtung Córdoba. Nächster Halt: Zentralargentinien.
„I werd narrisch“ in Córdoba
Córdoba
Die älteren Semester werden bei diesem Namen vielleicht noch an die Fußball-WM 1978 denken – an die „Schande von Córdoba“, als Österreich sensationell gegen Deutschland gewann und der Kommentator verzückt ins Mikrofon rief: „I werd narrisch!“ Fußballgeschichte, längst verjährt – aber der Name Córdoba ist seither jedenfalls unvergessen.
Heute ist Córdoba vor allem eine lebendige, junge Stadt mit über 1,3 Millionen Einwohnern, vielen Universitäten, kolonialem Charme und einem entspannten Lebensrhythmus. Die zweitgrößte Stadt Argentiniens liegt im geografischen Zentrum des Landes und gilt als intellektuelles Herzstück: Zahlreiche Studierende prägen den Alltag, Kultur und Kreativität sind allgegenwärtig. Ich bin zu Gast bei einem ehemaligen Studienkollegen, der sich hier eine neue Heimat aufgebaut hat – und mich nun in die Feinheiten des argentinischen Daseins einführt: Mate trinken, Fleisch essen, spät aufstehen – so in etwa die Grundpfeiler des Alltags.
Mate, das bittere Nationalgetränk, ist dabei eine Wissenschaft für sich. Getrunken wird er aus einem Mate (dem Becher, oft aus Holz oder Kalebasse) und geschlürft durch eine Bombilla, ein Metallröhrchen mit Sieb. Geteilt wird der Mate im Freundeskreis oder unter Kollegen, reihum – ein echtes Sozialritual. Geschmacklich gewöhnungsbedürftig, irgendwo zwischen grünem Tee und Raufasertapete, aber nach dem dritten Aufguss beginnt man, das Ganze zu mögen. Und wenn nicht: sieht zumindest immer souverän aus.
Die Stadt selbst überrascht mit historischen Gebäuden, lauschigen Innenhöfen, lebendigen Straßenmärkten und einem angenehmen Durcheinander. Besonders sehenswert: das Jesuitenviertel Manzana Jesuítica, UNESCO-Welterbe und stilles Zeugnis der Kolonialzeit, sowie die Plaza San Martín, das Herz der Altstadt. Am Wochenende treffen sich hier Jung und Alt zum Spazieren, Ratschen, Empanadas essen – und natürlich: Tango tanzen.
Ein Tagesausflug in die Sierras de Córdoba, die sanften Mittelgebirge rund um die Stadt, bringt frische Luft und Fernblick. Unterwegs stolpern wir zufällig in ein kleines Dorffest – mit Musik, Reitvorführungen und Gauchos, den argentinischen
Cowboys. In voller Montur zeigen sie, was sie können, während auf dem Grill Choripanes brutzeln – Würstchen im Brot mit Chimichurri-Sauce, der perfekte Imbiss für unterwegs. Später gibt’s ein erfrischendes Bad im Fluss – Sommerleben auf argentinisch.
Besonders spannend: der Besuch im beschaulichen Ort Alta Gracia, etwa 35 Kilometer südlich. Hier wuchs einst Ernesto „Che“ Guevara auf, dessen Kindheitsheim heute ein kleines, gut gemachtes Museum beherbergt. In zurückhaltender Aufmachung werden hier Fotos, Briefe, Bücher und sein legendäres Motorrad gezeigt, mit dem er einst durch Südamerika reiste. Der Ort wirkt eher leise als heroisch – und bleibt gerade dadurch lange in Erinnerung.
Ein weiteres Highlight ist der unvermeidliche Asado, das traditionelle Grillfest, das in keinem argentinischen Leben fehlen darf. Hier wird nicht einfach nur gegrillt – es wird zelebriert. Schon die Vorbereitung ist eine kleine Zeremonie: das passende Holz, die ideale Glut, der richtige Garpunkt. Serviert wird in Etappen: zuerst Morcilla (Blutwurst), dann Chorizo, schließlich die Hauptstücke – Rippchen, Bauch, Lende. Auch Chinchulines (Dünndarm) gehören dazu – nicht jedermanns Sache, aber hier Teil des Ganzen. Gemüse spielt eine Nebenrolle, Salat gibt’s zur Zierde, gegessen wird direkt vom Grill. Getrunken wird Fernet con Coca, ein bitter-süßer Kräuterlikör mit Cola, vor allem in Córdoba Kult. Geschmacklich eine Herausforderung – aber hey, man will ja dazugehören.
Was auffällt: Wer länger in Argentinien lebt, passt sich schnell an. Der Tagesrhythmus verschiebt sich nach hinten, gearbeitet wird entspannt und oft musikalisch begleitet, gegessen wird spät. Der Mate-Becher steht nie weit entfernt. Es dauert nicht lange, bis man merkt, wie gut dieser Lebensstil tut – entschleunigt, gesellig, genießerisch.
Nach vier intensiven Tagen mit Bergen, Mate, Märkten, Musik und Menschen heißt es Abschied nehmen. Der Rucksack wird neu geschnürt, die nächste Etappe wartet: Mendoza – Wein, Anden, Höhenmeter. Mit dem Nachtbus geht’s weiter gen Westen – und noch ein Stück tiefer hinein ins Herz Südamerikas.
Das Dach Amerikas
Mendoza
Eine Oase in der trockenen Weite Westargentiniens: Mendoza ist weit mehr als nur ein Zwischenstopp. Die Stadt mit ihren begrünten Alleen, ruhigen Plätzen und unzähligen Weingütern gilt als Tor zu den argentinischen Anden und Ausgangspunkt für Outdoorfans, Genussmenschen und Gipfelträumer. Rundum wartet das Abenteuer: River Rafting, Kayaking, Trekking – oder eben: der Aconcagua Nationalpark, Heimat des höchsten Berges Südamerikas.
Bei meiner Ankunft nach einer durchgeschaukelten Nachtbusfahrt bin ich erstmal ziemlich durch. Acht Stunden Busfahrt hinterlassen Spuren – aber keine Zeit zu verlieren. Ich streife durch die Stadt, schlendere über die Plaza Independencia, stärke mich standesgemäß mit einem Bife de Chorizo (Maße: ca. 15 cm Länge, 10 cm Höhe, 10 cm Tiefe – mehr Kubik als man essen kann), buche meine Tour zum Aconcagua. Danach: Pizza-Tequila-Party im Hostel. Prioritäten und so.
Um 4 Uhr nachts endet die Feier, um 7:30 Uhr geht es schon weiter – Ausflugstag. Ich bin nicht der Einzige mit akuter Tequila-Tapferkeit im Blut, was die Stimmung im Minivan zunächst dämpft. Zum Glück hebt sich die Laune rasch, auch dank meiner charmanten Mitfahrerinnen: Drei Argentinierinnen aus Buenos Aires, die ihr eigenes Land bereisen. Das machen hier viele – Backpacking im eigenen Land ist populär. Und oft treffen sich In-
und Ausländer in Hostels auf Augenhöhe – mate-trinkend, tippgebend, gemeinsam reisend.
Unser Ziel: der Aconcagua, mit seinen 6.962 Metern der höchste Berg außerhalb Asiens. Der Wind pfeift, die Luft ist trocken, aber die Landschaft spektakulär. Wir wandern durch das Hochland des Nationalparks, vorbei an flachen Lagunen, kargen Hängen und wilden Blumen in kräftigen Farben. In der Ferne schiebt sich der Koloss aus Fels und Eis aus dem Himmel – die Spitze im Wolkenkleid, der Rest wie aus einer anderen Welt.
Unser Guide Pablo, ein echter Mendoza-Profi mit verschmitztem Lächeln und Dauerenergie, versorgt uns während des Hikes mit Geschichten, Naturwissen und kleinen Rätseln. Am Ende veranstaltet er ein Spontan-Quiz im Bus: Wer hat zugehört? Wer war nur fürs Selfie hier? Ich kann zum Glück ein paar Fragen korrekt beantworten und rette damit ein Stück deutsche Ehre. Am Ende gewinnt Maria aus Buenos Aires eine Flasche Malbec. Ich darf sie überreichen – inklusive landestypischem Wangenkuss. Auch das lernt man hier: Argentinier sind nicht nur herzlich, sie nehmen zwischenmenschliche Rituale ernst – und charmant.
Am nächsten Morgen wird der Kontinent die Seite wechseln. Adiós Argentina – hola Chile!

Hier geht es nun nahtlos weiter mit Chile und Patagonien:
Aber ich kehre nach Argentinien zurück, denn von Ushuaia geht es schnurstracks zu den Iguazúwasserfällen. Gerne hier weiterlesen!
Iguazúwasserfälle - die Macht des Wasser
Puerto de Iguazú
2007 stand ich zum ersten Mal vor den Iguazú-Wasserfällen – und war schlicht überwältigt. Ein Naturerlebnis, das sich eingebrannt hat. Also war klar: Diese Reise muss ich wiederholen. Der Weg dorthin? Lang, wie so vieles in Südamerika. Erst vier Stunden Flug von Ushuaia nach Buenos Aires, fünf Stunden Wartezeit, dann nochmal zwei Stunden bis Puerto Iguazú. Ein Kraftakt – aber einer, der sich lohnt.
Puerto Iguazú ist ein kleiner, tropischer Ort im Dreiländereck Argentinien, Brasilien und Paraguay – und das Sprungbrett zu einem der gewaltigsten Naturschauspiele der Welt. Die Cataratas del Iguazú markieren die Grenze zu Brasilien, über 250 einzelne Fälle stürzen hier in mehreren Stufen bis zu 75 Meter in die Tiefe. Mittendrin: die „Garganta del Diablo“ – der Teufelsschlund. Ein ohrenbetäubendes Naturspektakel, das man nicht vergisst.
Der Legende nach verdanken wir die Fälle einem zornigen Gott namens Mboi, einer schlangenartigen Gestalt aus der Mythologie der Guaraní. Als eine Auserwählte samt Liebhaber flussabwärts floh, spaltete Mboi voller Wut das Flussbett – und erschuf so die Schlucht. Der Geliebte wurde im Fels versteinert, sie zur ewigen Wächterin als Baum. Klingt dramatisch – ist aber vor allem ein bildgewaltiger Mythos für ein ohnehin unfassbares Naturwunder.
Am ersten Tag nehme ich es ruhig: Aussicht genießen an den Tres Fronteras, dem Punkt, an dem Iguazú- und Paraná-Fluss zusammenfließen. Von hier sieht man direkt nach Paraguay und Brasilien – zwei Länder nur eine Armlänge entfernt. Am Abend lerne ich beim Abendessen neue Leute kennen. Wir tauschen Geschichten, lachen viel – und ja, Kreditkarten verstecken kann man offenbar auch kreativ.
Tags darauf geht’s zur argentinischen Seite der Fälle – meiner Meinung nach die spektakulärere. Schon beim Betreten des Nationalparks wird klar: Der Wasserstand ist höher als damals, die Fälle tosen lauter, sprühen wilder, wirken noch gewaltiger. Einige kleinere Ströme haben sich in reißende Monster verwandelt. Ein Ort, der sich jedes Mal neu erfindet.
Zwischen Gischt und Regenbogen entdecke ich Nasenbären, Schmetterlinge, Schildkröten und – ganz besonders – einen Schwarm Tukane, die majestätisch durch die Baumwipfel flattern. Der Park ist riesig, das Wegenetz ausgebaut. Zuerst bestaunt man die Fälle von unten, wandert dann über Brücken und Stege bis zu den oberen Plattformen. Wer kann sagen, welcher Blick besser ist? Alle sind atemberaubend.
Höhepunkt bleibt der Teufelsschlund. Wenn hier – besonders nach Regenfällen – bis zu 7.000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde herabdonnern, bleibt einem der Mund offen stehen. Ich halte mich ans Geländer, lasse mich von der Gischt einhüllen, schaue. Und staune. Eine Stunde lang. Vielleicht auch länger.
Am nächsten Tag wechsle ich die Perspektive: Mit dem Bus geht es auf die brasilianische Seite, nach Foz do Iguaçu. Hier bekommt man die Fälle eher aus der Distanz zu Gesicht – das große Panorama statt mittendrin. Der Kontrast ist spannend, wenn auch das Tierwohl auf brasilianischer Seite zu wünschen übrig lässt: Nasenbären werden gestreichelt, gefüttert, fotografiert. Mancher Tourist meint wohl, das sei ein Streichelzoo. Es fehlt nur noch das Selfie mit Hamburger. Ein bisschen weniger „Wildlife Disney“ wäre schön.
Doch auch hier lohnt sich der Besuch – der Steg, der bis direkt an den Teufelsschlund führt, sorgt für die volle Ladung Wasserdampf und Adrenalin. Auch beim zweiten Mal bleibt das Gefühl: Iguazú ist kein Ort, den man besucht – er überwältigt einen. Und ruft nach Wiederholung.
Am Abend heißt es: zurück nach Argentinien, Rucksack schultern, Bus besteigen. Es warten knapp 32 Stunden Fahrt gen Nordwesten – erst nach Salta, dann weiter Richtung bolivianische Grenze. Kilometer für Kilometer verlasse ich das feuchte Tropengrün – bereit für neue Höhen. Und neue Kapitel.
¡Que viva Salta la linda!
Salta
Die Nachricht schlägt ein wie ein Donnerschlag: Machu Picchu ist geschlossen. Ungewöhnlich starke Regenfälle haben die Bahnstrecke ins Heilige Tal verschüttet, Touristen sitzen in den Bergen fest, werden per Helikopter evakuiert – und ich? Schaue auf meine Reiseroute und streiche einen der großen Höhepunkte. Ob ich mich nun glücklich schätzen soll, nicht festzusitzen? Vielleicht. Aber ein bisschen Wehmut bleibt.
Doch wie das so ist mit Reisen: Manchmal tun sich gerade dann Türen auf, wenn andere sich schließen. Und so wird Salta, ursprünglich nur als kurzer Zwischenstopp auf dem Weg nach Bolivien eingeplant, plötzlich zum Schauplatz unerwarteter Geschichten.
Die Anreise aus Iguazú zieht sich – 24 Stunden Busfahrt quer durch den halben Kontinent. Klingt mühsam, ist aber überraschend kurzweilig. Ich sitze neben einer kleinen Gruppe Israelis, die mir ein bisschen Hebräisch beibringen. Ein paar Redewendungen für alle Fälle, ein kleiner Einblick in Essgewohnheiten und Feiertage – und schon vergeht die Zeit wie im Flug, pardon, im Bus.
In Salta angekommen, bleiben mir rund zwölf Stunden Aufenthalt – und ich nutze jede Minute. Erst ein kurzer Stadtbummel durch das historische Zentrum mit seinen kolonialen Kirchen, dann ab zum Zahnarzt. Ja, richtig gelesen: Eine verloren gegangene Füllung will ersetzt werden. Der Zahnarzt nimmt sich meiner an – freundlich, professionell, und nur mäßig beunruhigend, als er nach einem Blick auf meine europäischen Zahnfüllungen meint: „So etwas habe ich noch nie gesehen.“ Aber der Mann versteht sein Handwerk, verpasst mir eine neue Füllung, die laut eigener Aussage „ewig hält“. Wir plaudern über Europa, Asado und Zahngold. Südamerika, wie es leibt und lebt.
Und dann geschieht etwas, das fast schon filmreif ist: Während ich durch die Straßen schlendere, bleibt mein Blick an einem Gesicht hängen – und ich traue meinen Augen kaum. Ein
ehemaliger Studienkollege steht plötzlich vor mir, mitten in der Provinz, tausende Kilometer von zuhause entfernt. Wir fallen uns ungläubig in die Arme. Er lebt inzwischen in Salta, ist verheiratet, angekommen. Was für ein Zufall! Und was für ein schöner Beweis dafür, wie klein die Welt manchmal sein kann.
Abends ist es dann soweit: Mein letztes argentinisches Steak steht an. Es ist ein bisschen wie ein Abschiedsritual. Ich bestelle ein „Bife de Chorizo“, 350 Gramm zartestes Rind, auf den Punkt gegrillt, außen knusprig, innen rosa – ein letzter Gruß an dieses kulinarisch so großzügige Land. Ein bittersüßer Moment. Ich werde das Fleisch vermissen. Und das späte Abendessen. Und überhaupt alles.
Dann heißt es Abschied nehmen – Argentinien liegt hinter mir, Bolivien voraus. In aller Herrgottsfrühe erreiche ich die Grenze bei La Quiaca. Der Grenzübergang erfolgt zu Fuß. Ich habe Glück, bin einer der ersten am Schalter, der Stempel sitzt, der Rucksack auf dem Rücken, es geht weiter. Zum Bleiben lädt der Ort ohnehin nicht ein. Der Busbahnhof ist ein staubiges Provisorium, die Tickets werden aus winzigen Kabinen heraus gerufen. Ich ergattere das letzte für den Bus nach Uyuni – Glück gehabt.
Was folgt, ist eine Busfahrt wie aus einem Abenteuermärchen:Neun Stunden durch die bolivianische Wildnis, vorbei an kargen Hochebenen, tiefen Schluchten und einem reißenden Fluss, den wir zunächst nicht überqueren können. Der Fahrer wartet – und fährt schließlich mit einem beherzten Manöver mitten hindurch. Ich halte den Atem an, rechne kurz mit dem Schlimmsten – aber der Plan geht auf. Jubel im Bus, Applaus für den Helden am Steuer.
Ich sitze neben Josh aus England, wir sind die einzigen Ausländer im Bus. Es fühlt sich anders an. Neuer Kontinentabschnitt, neues Tempo, neue Regeln. Willkommen in Bolivien. Ein bisschen unsicher, ein bisschen aufgeregt – aber genau deshalb bin ich ja hier.

Hasta luego, Argentina!
Nach unzähligen Kilometern, vollen Tellern und vielen kleinen Wundern heißt es Abschied nehmen. Argentinien war laut, wild, herzlich – und irgendwie auch Zuhause auf Zeit.
Ich ziehe weiter, aber nehme viel mit: Geschichten, Erinnerungen und das sichere Gefühl – das war nicht das letzte Mal. Wie wäre es jetzt mit Chile?
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