Chile ist wie eine Packung Überraschungseier – schmal, aber vollgepackt mit allem: Großstadttrubel, bunten Hügeln, Erdbebenlight und einer Portion Pisco obendrauf. Ich reise von der Hauptstadt Santiago über das unordentlich charmante Valparaíso bis in die Weiten des Südens. Und lerne dabei: Wer sich auf Chile einlässt, sollte ein bisschen Spanisch können – oder gut nicken und lachen, wenn alle anderen es tun.
Zwischen Herzlichkeit und Historie
Santiago de Chile
Die Einreise nach Chile verläuft… sagen wir gründlich. Aus fünf Stunden Busfahrt werden plötzlich neun, davon vier an der Grenze – mit Formularen, Gepäckdurchleuchtung und genervten Grenzbeamten. Brasilianische Mitreisende fangen sich direkt eine Standpauke ein, weil sie ihre Namen an der falschen Stelle eintragen. Willkommen in Chile!
In Santiago erwarten mich Freunde, die ich vor ein paar Jahren in Brasilien kennengelernt habe. Wie so oft in Südamerika zeigt sich auch hier die große Herzlichkeit: Ich bekomme ein eigenes Zimmer im neuen Apartment – samt leicht undichter Luftmatratze, die mich allmorgendlich an die Härten des Bodens erinnert. Dafür gibt’s Familienanschluss deluxe: ein Wochenende voller Geburtstagsfeiern, Verwandtenbesuche und neugieriger Fragen. Als Reisender aus Europa ist man Gesprächsstoff genug – besonders wenn man seinen Job gekündigt hat, um monatelang durch Südamerika zu reisen. Ungewöhnlich, aber auch inspirierend, wie mir viele versichern.
Schnell bin ich mitten im chilenischen Familienalltag angekommen: Es wird gequatscht, gelacht, geplant – und viel gegessen. Eine kleine Stadttour darf natürlich nicht fehlen. Vom Cerro San Cristóbal aus genieße ich den Blick auf das sommerlich flirrende Santiago. Dazu ein Glas Mote con Huesillo, eine lokale Erfrischung aus süßem Pfirsichkompott und Graupen – gewöhnungsbedürftig, aber überraschend lecker.
Im Zentrum schlendere ich über die Plaza de Armas, vorbei an Kolonialfassaden, Straßenmusik und dem bunten Leben der Hauptstadt. Der Weg führt mich auch zur La Moneda, dem
Präsidentenpalast – und damit unweigerlich zu einem der dunkelsten Kapitel der chilenischen Geschichte. Hauptstadt. Der Weg führt mich auch zur La Moneda, dem Präsidentenpalast – und damit unweigerlich zu einem der dunkelsten Kapitel der chilenischen Geschichte.
Am 11. September 1973 wurde der demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende durch einen blutigen Militärputsch unter General Augusto Pinochet gestürzt. Der Palast wurde bombardiert, Allende starb während des Angriffs – offiziell durch Suizid. Die darauffolgende Diktatur dauerte bis 1990, forderte tausende Tote und Verschwundene. Noch heute ist die Aufarbeitung ein sensibles Thema. Mahnmale und Museen erinnern an die Opfer, Gespräche darüber bleiben oft vorsichtig. Wer durch die Straßen Santiagos läuft, merkt schnell: Vergangenheit und Gegenwart liegen hier oft nur einen Häuserblock voneinander entfernt.
Und dann ist da noch das chilenische Spanisch. Schnell, verschluckt, voller Slang – eine echte Herausforderung. „Pololo“ (Freund/in), „carrete“ (Party), „cachay“ (checkst du?) – ich verstehe manchmal nur Bahnhof. Also heißt es: lächeln, nicken und hoffen, dass’s passt. Wer hier durchkommt, kommt überall durch!
Die Tage in Santiago sind intensiv – voller Begegnungen, Gespräche, neuen Eindrücken und alter Geschichten. Der Abschied fällt schwer, aber das nächste Ziel ruft bereits. Chile hat mich freundlich empfangen – und ganz sicher nicht zum letzten Mal gesehen.

Von Hügeln, Hafenblick und Herzlichkeit
Viña del Mar & Valparaíso
Bevor es nach Valparaíso geht, lege ich einen kurzen Zwischenstopp in Viña del Mar ein – dem Lieblingsstrand vieler Chilenen. Doch mein Tag am Meer verläuft eher durchwachsen. Der Himmel ist grau, der Wind pfeift und der Strand wirkt ungepflegt und ein wenig lieblos. Ich versuche, der Sache eine Chance zu geben, suche mir ein windgeschütztes Fleckchen, will ein Nickerchen machen – doch eine lärmende Kindergruppe und eine singende Straßenmusikerin machen mir einen Strich durch die Rechnung. Also weiter nach Valparaíso, das gleich nebenan liegt und – zum Glück – eine ganz andere Liga ist.
Schon bei der Ankunft ist klar: Diese Stadt hat Charakter. Farbenfrohe Häuser ziehen sich über mehr als 40 Hügel, steile Straßen winden sich durch die Viertel, und von fast überall blitzt ein Stück Pazifik hervor.
Zufällig treffe ich Hernán und Rodrigo wieder, zwei Reisebekannte aus Mendoza – und wie das in Südamerika oft so ist: Man freut sich, als hätte man sich ewig nicht gesehen.
Am nächsten Morgen mache ich mich früh auf, um die Stadt zu erkunden. Valparaíso – oder einfach „Valpo“, wie es liebevoll genannt wird – war einst einer der wichtigsten Häfen Südamerikas, bevor der Panamakanal die Handelsrouten neu sortierte. Heute gilt die Stadt als kulturelle
Hauptstadt Chiles – laut, kreativ, ein bisschen wild. Dichter Pablo Neruda hatte hier eines seiner Häuser. Und auch wenn Valpo seine Ecken und Kanten hat: Es lebt, pulsiert, erzählt Geschichten.
Ich erklimme mehrere der berühmten „cerros“, der Hügel, mit den typischen Zahnradbahnen – den Ascensores. Teilweise mehr als 100 Jahre alt, ruckeln sie nostalgisch den Hang hinauf. Oben angekommen, wartet ein fantastischer Blick über den Hafen, vorbei an rostigen Wellblechdächern, Graffitikunst und flatternden Wäscheleinen. Kein Ort für Postkarten-Perfektion – aber einer, den man nicht vergisst.
Zurück unten geht’s aufs Wasser: Ich nehme an einer kleinen Bootstour durch den Hafen teil. Zwischen Containerschiffen, Marineschiffen und Seelöwen tuckern wir durch die Bucht. Die Stadt sieht vom Wasser aus noch mal ganz anders aus – bunt, chaotisch, wunderschön.
Zum Abschluss gönne ich mir eine Paila Marina – ein kräftiger Meeresfrüchte-Eintopf, wie er in Valparaíso serviert wird: frisch, deftig, fantastisch.
Dann heißt es schon wieder Abschied nehmen. Ich fahre zurück nach Santiago, nur kurz – um meinen Rucksack zu schnüren. Denn mein nächstes Ziel wartet schon: Concepción.
Zwischen Küste, Campus und kleinen Beben
Concepción
Mit dem Bus geht es sechs Stunden gen Süden nach Concepción – oder kurz: Conce, wie die Einheimischen liebevoll sagen. Die Stadt liegt rund 500 Kilometer südlich von Santiago am Río Bío Bío. Lustig, wie sich das Zeitempfinden beim Reisen verändert: Sechs Stunden Busfahrt? Kein Problem! Früher fühlte sich selbst eine zweistündige Fahrt nach Berlin wie eine halbe Weltreise an – mit belegten Stullen, Pausen an der Raststätte und Langeweile deluxe. Heute dagegen ist so eine Strecke fast schon Kurzstrecke.
Weniger lustig ist der Anblick eines Waldbrands am Wegesrand. Eine Feuerwand kriecht über einen Hang, frisst sich durch den Wald – ein beklemmendes Bild. Offenbar keine Seltenheit in dieser Region, aber dennoch beunruhigend.
In Concepción angekommen, werde ich von einem alten Studienfreund empfangen, der hier als Dozent an der Uni arbeitet. Ein vertrautes Gesicht, ein Platz zum Ankommen – das tut gut. Wenig später stößt auch ein weiterer Freund aus Córdoba dazu, den ich erst kürzlich besucht habe. So wird aus dem
Wiedersehen ein kleiner Reiseauftakt: Gemeinsam schmieden wir Pläne für die nächsten Etappen, denn bald soll es Richtung Patagonien gehen.
Die Stadt selbst ist kein klassisches Touristenziel, aber ein echtes Stück Chile: studentisch, lebendig, angenehm unaufgeregt. Besonders präsent ist das Thema Erdbeben. Concepción liegt in einer seismisch aktiven Zone – kleinere Beben gehören hier fast schon zum Alltag. Auch ich erlebe zwei leichte Erdstöße: einen verschlafe ich im Bus, den anderen bemerke ich im Halbschlaf. Die Einheimischen bleiben gelassen. „Lieber viele kleine als ein großes“, sagen sie – fast schon ein lokales Mantra.
Die Tage in Conce sind ruhig, aber voller Vorfreude: Wir planen Routen, packen Ausrüstung, vergleichen Karten – Patagonien ruft. Und auch wenn dieser Abschnitt eher Vorbereitung als Abenteuer ist: Er ist wichtig. Zum Ankommen. Durchatmen. Und um die Reise gemeinsam fortzusetzen.

Das war's noch nicht mit Chile!
Denn jetzt: Auf in den Süden! Nach ein paar Tagen in Concepción beginnt das nächste große Kapitel meiner Reise: Patagonien. Endlose Landschaften, wilde Natur, Wind ohne Pause – und das alles auf chilenischer und argentinischer Seite. Was wir dort erleben, gibt’s im nächsten Abschnitt: Patagonien – rau, schön und grenzenlos.
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