Nicaragua ist das Land der Gegensätze: rau, herzlich, chaotisch. Zwischen kolonialen Schmuckstücken wie Granada und León, der Naturgewalt von Ometepe oder den brodelnden Vulkanen zeigt sich ein Land, das Reisende fordert – und mit offenen Armen empfängt. Wer die Chicken Busse überlebt und den Schleppern widersteht, wird mit echten Abenteuern belohnt.

Vulkaninsel mit holprigem Start

Isla Ometepe

Die Einreise nach Nicaragua ist kein Vergnügen: lange Wartezeiten, schwüle Luft und direkt hinter dem Grenzposten die ersten Schlepper. Besonders die Taxifahrer sind hartnäckig und erzählen, dass hier angeblich keine Busse fahren. Wer ungeübt ist, glaubt das und sitzt schnell in einem überteuerten Taxi. Doch mit etwas Geduld entdeckt man die offiziellen Busse – klapprig, aber günstig. Für ein paar Cent fährt man genauso zuverlässig ans Ziel, nur eben mit ein paar zusätzlichen Stopps und einer Prise Abenteuer.

Über San Juan del Sur und San Jorge geht es weiter zum Anleger, von wo aus die Boote zur Isla Ometepe übersetzen. Die Insel liegt mitten im gigantischen Lago de Nicaragua, dem größten Süßwassersee Mittelamerikas. Zwei Vulkane – der aktive Concepción und der grün überwucherte Maderas – prägen Ometepe und verleihen ihr die markante Form einer liegenden Acht. Archäologische Funde zeugen davon, dass die Ureinwohner die Vulkane als heilige Orte verehrten.

Der See selbst hat übrigens eine kuriose Geschichte: Einst lebten hier tatsächlich Bullenhaie, die über den Río San Juan vom Atlantik in den Lago gelangten – eine der wenigen Haipopulationen weltweit, die im Süßwasser überleben konnten. Heute sind sie weitgehend verschwunden, aber die Legende von den „Haien im See“ gehört zu Nicaragua wie der Rum und die Vulkane.

Seit 2010 ist die Insel UNESCO-Biosphärenreservat und zieht Naturfreunde, Abenteurer und Rucksackreisende aus aller Welt an – sei es für Wanderungen, Kajaktouren, Wasserfälle oder einfach das entspannte Inselleben.

Mein erster Halt ist Moyogalpa, die größte Stadt der Insel. „Groß“ ist dabei relativ: ein paar bunte Straßen, kleine Läden, Reiseagenturen und einfache Restaurants. Der Tourismus ist spürbar, aber angenehm entspannt – nichts Überlaufenes, eher charmant improvisiert. Von hier aus beginnt die Planung: Kajaktouren, Wanderungen, ein Abstecher zur Laguna Charco Verde oder gleich der Aufstieg auf einen Vulkan.

Am ersten Tag will ich mir jedoch erst einmal selbst ein Bild machen und die Insel gemütlich erkunden. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Mountainbike oder Moped. Da ich noch nie Moped gefahren bin und ohnehin keinen Führerschein habe, ist die Sache für mich eigentlich klar: ein Fahrrad muss her. Der Besitzer des Verleihs sieht das anders. Er redet auf mich ein, dass jeder hier Moped fährt und dass niemand jemals nach einem Führerschein fragt. „Es ist ganz einfach: Gas geben und bremsen“, versichert er mir. Kurz bin ich tatsächlich versucht, mich überreden zu lassen. Aber der Gedanke, ungebremst auf Ometepes Schotterpisten zu landen, lässt mich dann doch lieber beim Mountainbike bleiben.

Also radle ich los – auf einem eher mittelmäßigen Drahtesel, aber immerhin. Mein Weg führt mich über das Rollfeld des kleinen Inselflughafens (witzig, einfach so mitten durchs Flugfeld zu fahren), weiter hinein in den Charco Verde Nationalpark. Unterwegs passiere ich Bananenstauden und immer wieder den Blick auf die Vulkane, die über allem thronen. So lerne ich Ometepe Stück für Stück aus eigener Muskelkraft kennen.

Am Abend entscheide ich mich, dass das gemütliche Strampeln nicht genug ist: Am nächsten Tag soll es auf eine richtige Vulkanwanderung gehen. Der Inselklassiker wartet – und ich bin gespannt, ob meine Beine das Abenteuer mitmachen.

Moyogalpa mit Blick auf den Vulkan Concepción

Schweiß, Steine, Stolz

Vulkan Concepción

Die Isla Ometepe hat zwei Vulkane: den sanften, mit Nebelwald überzogenen Maderas (1.394 m) und den imposanten, aktiven Concepción (1.610 m). Ich befinde mich am Fuß des Concepción und entscheide mich in Agentur für eine angemessene Wanderung zu einem Aussichtspunkt – so auf ein Drittel der Höhe, wo man einen weiten Blick über die Insel genießen soll. Für mich, mittelmäßig fit und kein Adrenalin-Junkie, klingt das nach genau dem richtigen Einstieg.

Ausgestattet mit Wasser und Proviant marschiere ich also los – begleitet von meinem Guide Jeison. Schon der erste Abschnitt hat es in sich: tropische Hitze, schwüle Luft, Schweiß in Strömen. Doch irgendwann wird es kühler, die Vegetation lichter, und plötzlich läuft es fast wie von allein. Der Aussichtspunkt ist schnell erreicht, und die Sicht ist großartig.

Dann macht Jeison das, was Guides in solchen Momenten gern tun: Er schlägt vor, doch gleich „einfach“ bis zum Gipfel weiterzugehen. „Noch zwei Stunden“, sagt er, „für 20 Dollar extra, und du stehst ganz oben.“ Euphorisiert vom ersten Ausblick, sage ich zu.

Was folgt, ist ein echter Kampf. Die Vegetation bleibt zurück, stattdessen Geröll, Lavafelsen, steile Hänge. Je höher wir steigen, desto mehr klettere ich auf allen Vieren, halte mich an Steinen fest, während lockeres Gestein unter meinen Schuhen nach unten poltert. Nach einer Stunde wirken wir noch immer weit entfernt vom Gipfel. Jeison wirkt plötzlich weniger euphorisch und deutet an, dass wir vielleicht besser umkehren sollten. Wasser knapp, Weg lang – und sein Bonus ja ohnehin schon in der Tasche. Doch jetzt will ich nicht klein beigeben. Ich schüttle den Kopf, sage: „Nein, wir machen weiter.“ Und wir gehen.

Andere Hiker kommen uns nach einer Stunde entgegen. „Noch eine Stunde“, sagen sie. Noch eine Stunde! Doch zurückgehen ist keine Option mehr. Ich beiße die Zähne zusammen, teile mir den letzten Schluck Wasser ein und kämpfe mich Schritt für Schritt weiter nach oben.

Und dann – endlich – stehen wir am Kraterrand. Ein Moment, den man kaum beschreiben kann. Schwefliger Dampf steigt aus der Tiefe, Wolken jagen über den Gipfel, bizarre Insekten schwirren umher, als kämen sie aus einer anderen Welt. Die Sicht ist nicht klar, aber gerade das macht die Szenerie surreal. Ich blicke in den Krater, spüre die Wärme unter meinen Füßen und merke: Ich habe es tatsächlich geschafft. Dieses Glücksgefühl, auf dem Gipfel eines aktiven Vulkans zu stehen, ist überwältigend.

Der Abstieg hat es ebenfalls in sich. Geröll rutscht, jeder falsche Schritt könnte böse enden. Leitermäßig taste ich mich an manchen Stellen nach unten, während Steine an mir vorbeischießen. Die Knie brennen, der Rücken schreit – aber irgendwann liegt der Vulkan hinter uns. Mein Wasser ist längst leer, der Hals trocken wie die Lavafelder. In der ersten Cafetería unten greife ich nach einer eiskalten Flasche Wasser, trinke sie in einem Zug leer und spüre, wie die Energie zurückkehrt.

Hätte ich an einem Punkt kehrtgemacht, ich hätte es mir nie verziehen. So aber bleibt das Erlebnis ein unvergesslicher Höhepunkt meiner Reise.

Wasserfall statt Vulkangipfel

Vulkan Maderas

Nach meiner schweißtreibenden Besteigung des Concepción beschließe ich, den Abend ruhiger anzugehen. Die Weiterreise zum zweiten Vulkan der Insel, dem Maderas, steht bevor. Natürlich wieder mit den üblichen Tricks der Taxifahrer: „Es gibt nur diesen einen Weg!“ Klar doch. In Wahrheit gibt es Busse – klapprig, langsam, aber unschlagbar günstig. Mit ein bisschen Recherche und Geduld kommt man genauso ans Ziel, ganz ohne Abzocke.

Am Abend bespricht mein Hostel-Host – ein italienischer Aussteiger – noch, dass er mir am nächsten Morgen ein Frühstück zubereiten will. Bezahlt wird schon im Voraus, alles wirkt geregelt. Leider spielen in der Nacht wohl „Frauenprobleme“ mit hinein, und so finde ich morgens statt Frühstück nur ein leeres Buffet und vermutlich einen verkaterten Gastgeber. Nun gut, Schwamm drüber – ich mache mich eben nüchtern auf den Weg.

Mit dem Bus geht es quer über die Insel, hinüber in die Region am Maderas. Hier geht es entspannter zu, direkt am Wasser finde ich eine kleine Unterkunft – perfekt, um die Füße hochzulegen. Nur, wie immer: Ruhig sitzen fällt mir schwer. Also breche ich noch zu einer Wanderung auf, zum San Ramón Wasserfall, einem der bekanntesten Ziele auf dieser Seite der Insel.

Die Strecke ist länger und anstrengender, als ich dachte: knapp zwei Stunden stapfe ich durch den Dschungel, bergauf über schmale Wege, bis ich endlich vor dem 70 Meter hohen Wasserfall stehe. Malerisch rauscht er über mehrere Kaskaden in die Tiefe. Im kühlen Becken darunter gönne ich mir ein Bad – erfrischend, laut tosend, ein unvergesslicher Moment. Eine kleine Krabbe schaut mir dabei zu, hebt immer wieder drohend ihre Schere.

Vier Tage verbringe ich insgesamt auf der Isla Ometepe. Erst der steinige Gipfel des Concepción, dann das Dschungelabenteuer am Maderas – beide Seiten der Insel zeigen, wie vielseitig und faszinierend Nicaragua sein kann. Am nächsten Tag geht es weiter ins Landesinnere.

San Ramón Wasserfall

Hauptstadt mit Schreckmoment

Managua

Von der Isla Ometepe geht es für mich weiter in die Hauptstadt Managua. Die Busfahrt dorthin fühlt sich sofort anders an: kein einziger Backpacker weit und breit, nur ich zwischen Einheimischen – ein sicheres Zeichen, dass ich diesmal wirklich authentisch unterwegs bin.

Doch plötzlich stoppt der Bus. Polizeikontrolle! Alle Fahrgäste müssen aussteigen, das Gepäck wird nach draußen verfrachtet. Ein mulmiges Gefühl macht sich breit – schließlich kennt man Geschichten von korrupten Polizisten, die Touristen gern einmal Drogen „unterjubeln“, nur um danach Kasse zu machen. Abzocke wäre das eine, aber in einem nicaraguanischen Knast aufwachen? Bitte nicht.

Die Beamten gehen Reihe für Reihe durch das Gepäck, schauen stichprobenartig in die Rucksäcke. Natürlich bleiben sie auch bei mir stehen. Mein Rucksack wird inspiziert, dann blättert einer der Polizisten missmutig in meinem Reisepass und fragt mit grimmigem Gesicht: „Was steht hier?“ – „Reisepass“, antworte ich so ruhig wie möglich und schüttele innerlich mit dem Kopf. Zum Glück gibt er sich damit zufrieden. Keine weiteren Fragen, keine Schikanen – wir dürfen wieder einpacken und die Fahrt geht weiter. Ein Schreck, auf den ich gern verzichtet hätte.

In Managua angekommen, wird schnell klar: Diese Stadt ist keine Schönheit. Mit rund 1,1 Millionen Einwohnern ist sie zwar die größte Stadt Nicaraguas und seit 1857 Hauptstadt, doch ihr Erscheinungsbild ist rau: chaotischer Verkehr, heruntergekommene Viertel, zwielichtige Ecken. Erdbeben (zuletzt 1972) haben das Stadtbild schwer gezeichnet, viele Bauten wurden nie wieder richtig aufgebaut. Mein Hostel gleicht einer kleinen Festung, mit hohen Mauern und Gittern vor den Fenstern.

Dennoch wage ich mich hinaus, um zumindest einen Eindruck zu bekommen. Das wichtigste Gebäude der Stadt ist der Palacio Nacional de la Cultura – früher Regierungssitz, heute Museum. Ein wuchtiger Bau mit neoklassizistischer Fassade, Symbol des Wiederaufbaus und Stolz der Hauptstadt. Drinnen findet man Ausstellungen zur Kunst und Geschichte des Landes, darunter präkolumbische Funde und Malereien, die die bewegte Vergangenheit Nicaraguas nachzeichnen.

So spannend der Palacio ist, so wenig zieht mich Managua insgesamt in seinen Bann. Die Stadt wirkt auf mich gefährlich, unaufgeräumt, wenig einladend. Ein Nachmittag reicht, um zu wissen: Für mich bleibt Managua eher eine Durchgangsstation.

Schon am nächsten Tag breche ich wieder auf – nicht ins nächste Land Mittelamerikas, sondern mit einem Zwischenstopp nach Kuba. Zeit, den Rucksack neu zu packen und auf das nächste Abenteuer vorzubereiten.

Dom in Havelberg

Von Managua geht es für zwei Wochen nach Kuba. Dann geht es nahtlos in Nicaragua weiter. 

Koloniale Farbenpracht und Vulkanblicke      

Granada

Nach meinem Abstecher nach Kuba lande ich zurück in Managua, steige aber sofort in ein Shuttle Richtung Granada. Keine Stunde dauert die Fahrt – und doch fühlt es sich an wie eine andere Welt. Wo Managua chaotisch und ruppig wirkte, präsentiert sich Granada von seiner besten Seite: koloniale Häuser in leuchtenden Farben, frisch renovierte Fassaden, Kopfsteinpflaster und ein gemütliches Flair.

Ich checke in ein Hostel unweit der Plaza Colón ein. Dort thront die Catedral de Granada, deren gelb-rote Fassade schon von Weitem ins Auge sticht. Besonders beeindruckend ist der Turm der Iglesia de la Merced, von dem man einen weiten Blick über die Stadt und ihre Umgebung hat: den Lago de Nicaragua, die grünen Vulkane in der Ferne und den mächtigen Masaya, der gelegentlich sogar Rauch in den Himmel pustet. Ein Pflichtprogramm für jeden, der Granada besucht.

Die Stadt selbst lädt ein, sich treiben zu lassen. Durch die Straßen zu schlendern, auf den Märkten zu stöbern oder einfach einen Kaffee im Straßencafé zu genießen, macht riesigen Spaß. Nur eines sticht negativ ins Auge: der Plastikwahn. Selbst Tomaten, Zwiebeln oder Brot werden hier noch einmal extra in Plastiktüten verpackt – ein Überfluss, den man nach ein paar Tagen kaum glauben mag.

Natürlich gönne ich mir auch einen Ausflug: zum nahegelegenen Mombacho-Vulkan, nur eine halbe Stunde entfernt. Der erloschene Stratovulkan ist 1.345 Meter hoch und von dichter Vegetation überzogen. Von der Basis führt eine steile Straße hinauf, wer nicht wandern möchte, kann sich sogar mit einem Shuttle-Lastwagen bis zum Kraterrand fahren lassen. Ich entscheide mich für die Wanderung, die zwar anstrengend, aber nicht mit der Tortur des Concepción zu vergleichen ist. Oben angekommen, führt ein Rundweg um den Krater: mystischer Nebelwald, Orchideen, Brüllaffen – sogar ein Faultier entdecke ich. Und dazwischen immer wieder fantastische Ausblicke über den See und die Ebene um Granada.

Zwei Tage verbringe ich in dieser kolonialen Perle, lasse mich von der Atmosphäre einfangen und genieße die Mischung aus Geschichte, Farbenpracht und Natur. Granada macht es einem leicht, sich wohlzufühlen – umso schwerer fällt es, wieder aufzubrechen. Doch mein Weg führt weiter, hinein ins nächste Kapitel Nicaraguas.

Feuer frei!

Vulkan Masaya

Bevor es für mich weiter nach Norden geht, mache ich noch Halt am Masaya, einem der aktivsten Vulkane Nicaraguas. Das Land hat insgesamt über 20 Feuerberge – ungefähr die Hälfte davon spuckt immer mal wieder Dampf oder Lava. In Nicaragua gehört das also quasi zur Grundausstattung.

Der Masaya ist dabei besonders praktisch: Man muss ihn nicht mühsam erklimmen, sondern fährt einfach mit dem Bus bis fast an den Kraterrand. Luxusversion des Vulkanerlebnisses, sozusagen. Die Spanier nannten ihn früher ehrfurchtsvoll „Tor zur Hölle“ – für mich ist es eher „Drive-in-Volcano“.

Als die Sonne untergeht, wird’s richtig spannend: Unten im Krater glüht die Lava, rote Schlieren bewegen sich wie in einem gigantischen Lavalampe-Experiment. Kein Photoshop nötig, das ist echt. Und ja, beeindruckend ist es allemal – aber das Ganze wirkt auch ein bisschen so, als hätte die Erde da unten einfach schlechte Laune.

Und weil das Leben manchmal Überraschungen parat hält, treffe ich genau hier eine Backpackerin wieder, die ich in Costa Rica kennengelernt hatte. Ihr Look: Schürfwunden, Verbände, ziemlich lädiert. Sie erzählt mir, sie habe auf Ometepe ein Moped statt eines Fahrrads nach intensiver Überzeugungsarbeit des Anbieters gemietet – vermutlich sogar im gleichen Verleihbüro, in dem man auch mir so ein Ding andrehen wollte. Ende vom Lied: Sturz auf Schotterpiste, Moped geschrottet, vom Verleiher ordentlich abgezockt. Glück im Unglück: Nichts gebrochen, aber viele Kratzer.

In dem Moment bin ich heilfroh, dass ich mich damals stur ans Fahrrad geklammert habe. Manchmal lohnt es sich eben, beratungsresistent zu sein.

Mit dem Masaya im Rückspiegel geht es weiter nach León – meiner letzten Station in Nicaragua.

Rustikaler Charme zum Abschied

León

Für meine letzte Station in Nicaragua gönne ich mir ein Shuttle von Tür zu Tür. Normalerweise bin ich ja eher mit den lokalen Bussen unterwegs – oder mit den legendären Chicken Bussen, ausrangierten US-Schulbussen, die hier bunt bemalt und gnadenlos überfüllt ihre zweite Karriere feiern. Nach meiner Polizeikontrolle in Managua entscheide ich mich diesmal aber für die bequeme Variante.

Doch auch so ein kleiner Transfer hat seine Überraschungen. Mit mir fahren zwei junge Amerikanerinnen, und wir kommen ins Gespräch – wie man das eben so macht unter Reisenden. Auf einmal die Frage: “Do you know Jehovah’s Witnesses?” Ich grinse, antworte etwas flapsig: „Klar, die klingeln auch bei uns in Deutschland gern von Tür zu Tür und wollen Leute bekehren.“ In dem Moment dämmert es mir – die beiden sitzen genau aus diesem Grund neben mir. Missionarinnen auf Tour durch Nicaragua!

Ich schalte sofort vom Flaps- in den Freundlichkeitsmodus, nicke brav, nehme Broschüren entgegen und lasse mir ihre Mission erklären. So richtig Lust habe ich zwar nicht auf theologische Grundsatzdiskussionen während einer rumpeligen Busfahrt, aber immerhin vergeht die Zeit. Umso erleichterter bin ich, als die beiden vor mir aussteigen und ich mich wieder meinen eigenen Reiseplänen widmen kann.

In León angekommen, fällt sofort der Unterschied zu Granada auf. Granada wirkt herausgeputzt, wie frisch gestrichen und ein bisschen auf Touristen zugeschnitten. León dagegen ist rauer, rustikaler – aber dafür auch authentischer. Kopfsteinpflaster, koloniale Fassaden, studentisches Leben. Die Stadt ist weniger Postkarte, dafür echtes Nicaragua.

Das Highlight ist ohne Frage die Catedral de León, die größte Kathedrale Mittelamerikas und UNESCO-Welterbe. Über schmale Treppen gelange ich aufs Dach, wo strahlend weiße Kuppeln und Türme in der Sonne glänzen. Von hier oben hat man einen fantastischen Rundumblick – über die Stadt, ihre roten Dächer und die Vulkane, die wie eine Perlenkette am Horizont stehen.

León ist außerdem das Mekka für Outdoor-Abenteurer. Von hier starten unzählige Touren: auf aktive oder erloschene Vulkane, Wanderungen jeder Länge und Schwierigkeit – und für die ganz Mutigen das berühmte Volcano Boarding. Dabei donnert man mit einem Holzbrett in Schutzanzug und Skibrille eine Vulkanflanke hinunter. Für Adrenalin-Junkies sicher ein Traum, für mich eher ein Fall von „Danke, nein – ich hab meine Vulkan-Erfahrungen gesammelt.“

So lasse ich es ruhiger angehen: durch die Straßen schlendern, in Cafés abhängen, ein bisschen die Atmosphäre aufsaugen. León wirkt lebendig, echt und ein klein wenig anarchisch – der perfekte Kontrast zu Granada und ein würdiger Abschluss meiner Nicaragua-Reise.

Vier intensive Stationen liegen hinter mir: Ometepe, mein erster Vulkan-Aufstieg, Begegnungen mit Schleppern und Busschaffnern; Granada, kolonialer Glanz; der glühende Masaya; und schließlich León, rustikal und voller Energie. Nicaragua hat sich mir vielseitig, wunderschön und manchmal auch herausfordernd gezeigt.

Doch nun heißt es Abschied nehmen – mein Weg führt weiter nach Honduras.

Altstadt von León mit Vulkanen am Horizont

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Das war Nicaragua!

Vulkane erklommen, Wasserfälle entdeckt, koloniale Städte bestaunt! Zwischen brodelnder Natur, bunten Märkten und herzlichen Begegnungen habe ich ein Land erlebt, das viel mehr zu bieten hat, als man ihm oft zutraut. Ein Stück authentisches Mittelamerika, das lange nachhallt. Ab nach Honduras!